Eine gewisse Stilart des Imaginären nennen wir Metaphysik. Dem philosophischen Establishment gilt sie als Ärgernis, mindestens aber als überholte Form philosophischen Denkens, deren letzter Höhepunkt mit Fichte, Hegel und Schelling erreicht worden ist. Metaphysik löst keine Fragen – statt Lösungen hat sie nur eine lange Geschichte anzubieten. Anhand dieser wird allerdings klar, was auf dem Spiel steht, wenn man sie aus dem philosophischen Gespräch entfernt.
Metaphysik liegt im Interesse des Menschen – jedes Menschen. Es geht um letzte Fragen, um den Sinn des Ganzen, den Zusammenhang, um unser Woher und Wohin. Dass sie in Misskredit geraten ist, liegt am Positivismus, der metaphysische Sätze für sinnlos erklärt. Das missachtet den Umstand, dass es einen Erkenntnispluralismus gibt – es geht nicht nur darum, was der Fall ist, sondern auch darum, wie es ist oder wäre, wenn man sich in einer solchen Situation befände. Es geht um Vergegenwärtigung.
Metaphysik muss, um Metaphysik zu sein, die Kritik mitdenken. Dem rein logizistischen Denken ist die Sache oft genug bloß störender Inhalt. Auch der härteste philosophische Begriff beruht aber auf einer Metapher, d. h. auf einem Bild – das ist die Pointe, deren sich der Positivismus nicht bewusst ist.
Die erschließende Kraft des Denkens reicht unendlich viel weiter als die beweisende Kraft des Wissens. Neben Präzision gibt es Prägnanz – und der geht es eben um den Zusammenhang des Ganzen.
In einer medial durchgetakteten Wirklichkeit gerät die Bedeutung von Fiktion in den Hintergrund. Das zeigt sich dann, wenn Literatur praktisch ausschließlich inhaltlich aufgefasst wird. Dabei sind das Imaginäre und die Imagination in die Entwicklung des Wirklichen tief verstrickt.
Die Gegenwart ist eine Zeit imaginativer Not. Angebetet wird das Datum, das Faktum, die Information. Bestätigt wird diese Diagnose von dem Furor, mit dem versucht worden ist, das Pseudonym der Bestsellerautorin Elena Ferrante zu lüften – und vollends in Kraft gesetzt wird sie von dem Triumphgeheul, das neulich in den Medien anhob, als der französische Literaturwissenschaftler Claude Schopp eine Dame namhaft machte, die dem Maler Gustave Courbet für das Bild „Der Ursprung der Welt“ Modell gestanden haben soll.
Oft wird Literatur geradezu abgewertet als nur Erfundenes. Literatur ist also, wenn sie Probleme der Gegenwart brav nacherzählt? Welche Stories und Botschaften vermittelt sie – und wie lehrreich sind diese? Das ist die Frage, die heute zählt. Dabei sind das Imaginäre und die Imagination in die Entwicklung des Wirklichen tief verstrickt. Fakt und Fiktion sind dessen zwei Seiten, denn was unter der Vorherrschaft der Naturwissenschaften in Vergessenheit geraten ist: Auch die Wirklichkeit verfügt über eine Innenseite.
Ein Sommerabend in München. Eine unscheinbare Tankstelle ist der Ort, an dem das Unausweichliche passiert. An dem die Frage, die sich Ewart Colver seit seines Autounfalls stellt – wer hat ihn angefahren? Und weshalb? –, endlich eine Antwort findet: im Duell mit der Vergangenheit.
Ewart Colver, Rechtsanwalt und leidenschaftlicher Tangotänzer von fünfzig Jahren, liegt im Münchner Krankenhaus Rechts der Isar, nachdem er von einem Auto angefahren wurde. Colver ist sich sicher, Opfer eines Attentats geworden zu sein. Ein Anruf aus der Vergangenheit scheint seine Vermutung zu bestätigen. Hat die Polizei ihn etwa als Lockvogel missbraucht? Und was hat das Ganze mit dem toten Drogendealer zu tun, der Jahre zuvor auf einem Bananendampfer in Bremerhaven gefunden wurde – zu einem Zeitpunkt, als Colver noch für eine Versicherung tätig war?
Als sein Verbindungsmann aus der Vergangenheit spurlos verschwindet, macht sich Colver selbst auf die Suche nach Täter und Tatmotiv. Dabei nähert er sich immer mehr der Frage, was die wahren schicksalsmächtigen Zusammenhänge in seinem Leben sind.
1. Aufl. 2019, ca. 256 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag ISBN: 978-3-608-50415-6
Thomas Palzer über “Die Zeit, die bleibt” (aufgenommen mit iPhone 7)
Rezensionen:
Wer “Die Zeit, die bleibt” liest, braucht vor allem eines: Geduld. Thomas Palzer erzählt die Geschichten seiner beiden Protagonisten in parallelen Erzählsträngen, die er erst am Ende des Romans kreuzt. Der Münchner Anwalt Ewart Colver wird bei einem Autounfall schwer verletzt. Er glaubt an einen Mordversuch und sieht die Verbindung zu einem alten Fall. In Berlin quält den russischen IT-Experten Shenja Orlov noch immer die Gewissheit, dass er für den Tod seiner großen Liebe verantwortlich ist. Obwohl die Handlungen an unterschiedlichen Orten spielen, entdeckt der Leser Ähnlichkeiten zwischen den Figuren. Sie eint ihr Hang zur Paranoia und zu Verschwörungstheorien, die schließlich beide Schicksale zusammenführen. Palzer ist ein Roman gelungen, der zwar kein packender Krimi ist, aber dafür ein spannendes Psychogramm bietet. (Tropen Verlag, 20 Euro)
Cathrin Wißmann, Stern 04.04 2019: Die besten Krimis des Frühjahrs 2019
… Die Entwicklung der Figuren bis zum tragischen Höhepunkt ist Palzer großartig gelungen. Leicht kann man nachvollziehen, wie sich zwei grundsätzlich gesunde Menschen immer tiefer hineinsteigern und letztlich aus dem Käfig, den sie sich erschaffen haben, nicht mehr herausfinden.
Für mich ein großartiger Roman in zweierlei Hinsicht: die Konstruktion des Handlungsverlaufs geht ebenso glatt auf wie die psychologische Entwicklung seiner beiden Protagonisten. Gepaart wird das Ganze mit einer ordentlichen Portion Spannung und durchaus auch einigen gesellschaftlich und sozialkritischen Fragen.
Wer sich nicht vor Längen im Handlungsablauf scheut und in eine teils surreal anmutende Welt wahnwitziger Abgründe blicken möchte, der darf einen Versuch wagen. Was ist Wahrheit, was ist Wahn und was passiert, wenn beides aufeinandertrifft? Der Leser bleibt am Ende, dem Thema angemessen, irritiert zurück.
Die UNESCO-Generalkonferenz 2005 erklärte den dritten Donnerstag im November zum Welttag der Philosophie, indem sie daran erinnerte, „dass Philosophie als Disziplin zum kritischen und unabhängigen Denken ermutigt und auf ein besseres Verständnis der Welt hinwirken und Toleranz und Frieden fördern kann. Der Welttag soll der Philosophie zu grösserer Anerkennung verhelfen und ihr und der philosophischen Lehre Auftrieb verleihen“.
Vortrag und Gespräch:
15. 11. 2018
15:30 Uhr
EineWeltHaus
Schwanthalerstr. 80
80336 München
EG in der Werkstatt
Philosophie – das ist immer der Philosoph, denn philosophisches Denken lässt sich beschreiben als Befähigung, den Weltbezug frei zu gestalten.
In den vergangenen Jahrzehnten waren es, um nur die Prominenz zu nennen, Heidegger, Derrida, Deleuze und Guattari, die die Frage nach der Philosophie gestellt und je verschieden beantwortet haben.
Thomas Palzer ist ein deutscher Autor, Journalist, Schriftsteller, Filmemacher und Hörfunksprecher, auch seiner eigenen Texte. Er studierte in München und Wien Philosophie und Germanistik. Mitte der 1980er Jahre begann er seine publizistische Arbeit beim „Zündfunk“ im Hörfunk des Bayerischen Rundfunks.
Aktuell hat Thomas Palzer eine künstlerische Gastprofessur im Literaturinstitut in Leipzig inne.
Wir laden euch herzlich zur Eröffnungsfeier der Ausstellung ‘Inside Out. Einsichten der Möbelkunst’ in das Kunstgewerbemuseum im Kulturforum ein!
Begrüßung: Sabine Thümmler, Direktorin Einführung: Achim Stiegel, Kurator der Möbelsammlung Vortrag ‚Die Melancholie der Dinge: Patina‘: Thomas Palzer, Schriftsteller und Philosoph
We would like to invite you to the opening of our exhibition ‘Inside Out. Understanding the Art of Furniture Making’ at the Museum of Decorative Arts Berlin!
Welcome: Sabine Thümmler, Introduction: Achim Stiegel, curator of the furniture collection Talk ‘The Melancholia of Things: Patina’: Thomas Palzer, writer and philosopher
Thomas Palzer B235-06* Essayistik, Literaturkritik Die Form des Essays
Der Essay cruist. Alles, was ihm auf seinem Weg begegnet, kann aufgelesen werden. Der Essay folgt nicht dem Beispiel der Naturwissenschaften, die meinen, alles müsse eindeutig sein und immer von irgendwoher herleitbar. Ein Essay ist nicht der Logik unterworfen. Was sich erklärt, erklärt sich durch das Verhältnis der Worte zueinander. Der Essay ist eine Geste, insofern die Geste eine Form ist, in der sich Geist und Materie miteinander verbinden, Gedanken mit Sätzen. Was innen liegt – das Subjektive – muss nach außen übersetzt werden, ins Objektive, ein dialektischer Prozess. Inhalte werden nicht durch die Form, sondern als Form ausgedrückt. Dabei entscheidet der Gebrauch der Wörter über den Gegenstand – und der Gegenstand, den man er- wählt hat, über das, was innen und außen ist.