Joseph Beuys war der Mann mit dem unvermeidlichen Filzhut. Den trug er wie einen Heiligenschein aus Filz. Und dieses einprägsame Bild wiederum hat Beuys zur Ikone gemacht – zur Ikone für den berühmtesten und umstrittensten Künstler im Nachkriegsdeutschland. Sein Wirken ist nicht nur legendär, er selbst hat auch kräftig an eigenen Legenden gesponnen.
1921 in Kleve geboren, gilt Beuys‘ Interesse zunächst den Naturwissenschaften. Nach dem Abitur durchläuft er bei dem Tierfilmer Heinz Sielmann eine Ausbildung zum Bordfunker. 1944 wird er, während eines Einsatzes auf der Krim, in seiner StuKa abgeschossen. Tartaren wickeln den Schwerverletzten in Filz und salben ihn mit Fett – ein Erlebnis, das für Beuys zur Initiaton wird (oder von ihm zu einer solchen gemacht) – dafür, Künstler zu werden und Fett und Filz zu den Betriebsstoffen seiner Kunst zu erklären.
Joseph Beuys – Messias in Filz
Dokumentation, Deutschland © 2001 SWR
Buch und Regie: Thomas Palzer. Kamera: Birger Bustorff. Ton: Til Löschner. Schnitt: Isabelle Allgeier. Redaktion: Martina Zöllner
1961 wird Beuys zum Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf ernannt – gegen den Willen seines Lehrer Ewald Mataré. Daneben widmet er sich Fluxusaktivitäten, die ihn schnell bekannt machen. Hervorzuheben ein Happening in Aachen 1965: Nachdem ihm die Nase von einem aufgebrachten Studenten blutig geschlagen worden ist, ergreift Beuys ein aufblasbares Kruzifix und hält es dem Publikum demonstrativ vor die Nase – stilisiert sich in Sekundenschnelle zur Christusfigur. Ein Foto, das bald durch Deutschlands Presse kursiert.
Beuys nimmt an der documenta 4 teil. Im Zuge der 68er-Unruhen gründet er verschiedene Organisationen, die allesamt die Bekämpfung des Parteien- und sklerotischen Obrigkeitsstaates zum Ziel haben: Er ruft die Menschen zur radikal freien Selbstbestimmung auf. 1971 besetzt er wegen der katastrophalen Zustände an der Düsseldorfer Kunstakademie deren Sekretariat – und wird daraufhin von dem damaligen Wissenschaftsminister Johannes Rau fristlos entlassen. Aber sechs Jahre später muß die Obrigkeit eine Schlappe hinnehmen: Beuys wird rehabilitiert.
Inzwischen hat er – auf der documenta 6 – zusammen mit Heinrich Böll und Klaus Staeck die FIU gegründet – die „Freie Internationale Universität“, die seine politischen Aktivitäten bündelt. Folgerichtig kandidiert Beuys 1979 im Auftrag der Grünen für das Europaparlament. 1980 veranstaltet das Guggenheim Museum in NYC eine Retrospektive – die erste für einen lebenden Künstler. Damit beginnt Beuys’ Weltruhm.
Beuys gehörte zu den ersten, die auf das beginnende Zeitalter medialer Wirklichkeitsvermittlung reagierten. Er sah immer gleich aus, trug sein Outfit wie eine rasch wiedererkennbare Uniform – zum Beispiel eine Anglerweste. Wenn Petrus Fischer war, verstand sich Beuys als Menschenangler – als Hirte, Schamane, Künstlerpriester. Dazu paßt die Krim-Legende, deren Struktur den Heiligengeschichten von Moses oder Buddha ähnelt. Nach dem Tod Gottes hat sich Beuys zu einer dem Paradigma der Selbsterschaffung geweihten Christus- und Erlöserfigur stilisiert, hat das Künstler-Konzept des Genies mit einem Initationserlebnis verbunden und sich dadurch als „Sprecher des Menschengeschlechts“ legitimiert. Beuys, keine Frage, war ein „Messias in Filz“.